27.04.1986 ++12:27 Uhr++

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Am 26. April um 1:23 Uhr Ortszeit (23:23 Uhr MESZ) ereignete sich in der Nähe der ukrainischen Stadt Pripjat ein katastrophaler Unfall, der bereits jetzt als die schwerste Atomkatastrophe in der Geschichte der zivilen Nutzung der Kernenergie gilt. Offiziellen sowjetischen Verlautbarungen zufolge kam es zu einem Unfall im Block 4 der Anlage. Der Reaktor explodierte während eines Sicherheitstests. Innerhalb von Sekunden wurden gewaltige Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt.

Tschernobyl galt als Vorzeigeprojekt der sowjetischen Kerntechnik. Das Kraftwerk versorgte die gesamte Region mit Energie. Der betroffene Reaktor des RBMK-Typ, ein graphitmoderierter Siedewasserdruckröhrenreaktor sowjetischer Bauart, ist bekannt für seine einfache, kostengünstige Konstruktion und hohe Leistung. Sicherheitsbehälter wie in westlichen Reaktoren fehlten jedoch.

Am 25. April wurde Reaktor 4 für Wartungsarbeiten heruntergefahren. Geplant war ein Test: das Verhalten des Reaktors bei einem kompletten Stromausfall. Doch der Versuch geriet außer Kontrolle. Die Leistung sank deutlich weiter als geplant. Um den Reaktor wieder hochzufahren, wurden mehr Steuerstäbe herausgezogen als erlaubt. Der Reaktorkern wurde danach instabil. Um 1:23 Uhr wurde der Test dennoch gestartet. Innerhalb weniger Sekunden schoss die Leistung auf das Hundertfache des zulässigen Werts. Der Versuch, die Steuerstäbe wieder einzufahren, kam zu spät: Nur 18 Sekunden später kam es zur Explosion.

Die über 2.000 Tonnen schwere Abdeckplatte des Reaktors wurde abgesprengt, eine 1.200 Meter hohe Rauch- und Gassäule stieg in den Himmel. Zwei Mitarbeiter starben sofort durch die Trümmer. Der Reaktorkern liegt offen – radioaktiver Staub, Gase und Partikel treten ungehindert aus. Bereits wenige Minuten nach dem Unfall traf die Werksfeuerwehr ein. 28 Männer begannen den Brand zu löschen, ohne Kenntnis über die enorme Strahlung. Erste Verletzte wurden mit schweren Verbrennungen und Symptomen akuter Strahlenkrankheit in umliegende Krankenhäuser eingeliefert. Medizinisches Personal, das an der Erstversorgung beteiligt war, war eigenen Angaben zufolge nicht ausreichend über das Ausmaß der radioaktiven Belastung informiert.

Auch Block 3 geriet in Brand. Unseren Quellen nach beträgt die Strahlung vor Ort bis zu 20 Sievert pro Tag – ein millionenfach tödlicher Wert. Die sogenannten Liquidatoren versuchen nun mit Sand- und Borsäureabwürfen aus Hubschraubern den offenen Reaktor zu ersticken. Die Piloten dürfen sich jeweils nur 30 Sekunden in Reaktornähe aufhalten.

Heute Morgen, über 30 Stunden nach der Explosion, begann die Evakuierung der Bevölkerung. Über öffentliche Lautsprecher wurden die Menschen in Pripjat aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Nur das Nötigste durfte mitgenommen werden. Innerhalb weniger Stunden wurden etwa 200.000 Menschen in 1.200 Bussen aus der Sperrzone mit einem 30 Kilometer Radius gebracht.

Meteorologische Daten und Messungen in mehreren europäischen Ländern zeigen bereits leicht erhöhte Werte ionisierender Strahlung in der Atmosphäre. In den kommenden Tagen werden umfassende Informationen entscheidend sein, um angemessene Schutzmaßnahmen zu ergreifen und die Öffentlichkeit auf mögliche Risiken vorzubereiten.

Die langfristigen Folgen sind nicht absehbar. Die Vorstellung, Kernenergie sei sicher beherrschbar, hat in Tschernobyl einen empfindlichen Schlag erlitten.

Dieser Vorfall wird zweifellos die internationale Debatte über den weiteren Ausbau der Kernenergie neu entfachen. Neben technischen Fragen rücken auch politische und gesellschaftliche Überlegungen in den Vordergrund: Wie viel Restrisiko ist akzeptabel? Und wie kann ein sicherer Umgang mit dieser Technologie gewährleistet werden?

Die Welt blickt nun nach Pripjat – in der Hoffnung auf Aufklärung, Hilfe für die Betroffenen und die Verhinderung weiterer Katastrophen.