In diesem Artikel schildert ein Bürger aus der DDR, welche lieber anonym bleiben möchte, seine persönlichen Gedanken nach dem vermeintlichen Supergau.
Sonntag, 27. April. Der Himmel über Berlin war klar, und mein Sohn wollte auf den Bolzplatz. Wir spielten eine Stunde, doch irgendwas fühlte sich anders an, kein Vogel am Himmel, nur Stille.
Am nächsten Morgen schaltete ich mein Radio ein, Nichts. Doch als ich auf einen Westsender schaltete, hörte ich von „Radioaktiver Strahlung über Skandinavien“ und den Begriff „Tschernobyl“, den ich zuvor noch nie gehört hatte.
In der DDR gab es keine Warnung, sondern Funkstille, lediglich Gerüchte innerhalb der Bevölkerung. Auf dem Markt sagte eine Frau: „Die Milch soll man nicht mehr trinken“. Ein anderer sprach davon, dass man die Kinder lieber daheimlassen solle. Am Abend brach meine Frau fast in meinen Armen zusammen, aus Angst vor unserer Unwissenheit.
Am nächsten Tag bekamen wir die Nachricht, dass alles in Ordnung sei. Ich begann wütend den Fernseher anzubrüllen. Ich fühlte mich verraten, verraten von Moskau, verraten von unserem Staat. Wie sollen wir für uns selbst sorgen, wenn wir die Information als letztes oder gar nicht erfahren?
Ich schreibe das hier, weil ich satthabe, dass alles immer nur totgeschwiegen wird.