Mecklenburg, Frühjahr 1986. 

Der Himmel ist Blau, die Menschen schenken ihm wenig Acht. Seit Tagen schon wirkt alles stiller, bedrückender. Eine seltsame Spannung liegt in der Luft. Radioaktive Strahlung, heißt es, soll sich über unseren Köpfen ausbreiten. Von einem Kernkraftwerk im Osten. Genaueres kann keiner sagen. Die offiziellen Meldungen versuchen uns zu beruhigen. „Keine Gefahr”, heißt es immer wieder im Radio. Doch wer den Sender heimlich wechselt und West-Radio hört, bekommt eine Ahnung davon, was ungefähr gerade wirklich passiert sein könnte. Die Informationen widersprechen einander, das Vertrauen sinkt.

Von Stunde zu Stunde werden die Straßen leerer. Kinder, die sonst draußen spielen und toben, sieht man kaum noch. Die meisten Eltern lassen sie drinnen. Nur wenige Menschen sind noch unterwegs und die, die draußen sind werfen unsichere Blicke um sich herum, als würden sie der Luft nicht trauen können.

Auch in den Wohnungen herrscht ungewohnte Stille. Hört man genauer hin, hört man manchmal leise das Radio. Immer wieder dieselben Phrasen, keiner versteht sie wirklich. Auf den Tischen der Menschen liegen Jodtabletten, angeblich helfen sie gegen die Schäden der Strahlen aber selbst die Apotheker sind sich dabei unsicher. Vielleicht hilft es, vielleicht auch nicht. Es beruhigt zumindest, für einen Moment.

In den Supermärkten fehlen inzwischen einige Lebensmittel. Vor allem Milch, aus Sicherheitsgründen, heißt es. Niemand sagt offen, dass es etwas mit der Radioaktiven Wolke zu tun hat, doch jeder weiß es.

Der Alltag geht weiter, doch nicht wie gewohnt, er ist durchzogen von Angst. Gedanken an die Katastrophe sind überall, beim kochen, beim putzen, beim Tischdecken. Immer wieder schweifen die Gedanken ab: Was ist mit Verwandten, die im Krankenhaus liegen? Was, wenn es doch schlimmer ist als sie sagen? Was ist mit Eltern, die es ihren Kindern erklären müssen? Wie erklärt man etwas, was man selbst nicht versteht?

Manchmal hört man noch Kinderstimmen auf der Straße. „Fang mich, du bist verstrahlt!“, rufen sie. Doch keiner lacht. Die Lage wird ernst.

So sieht der Alltag in einer DDR-Kleinstadt heute aus. Mischung aus Normalität und Angst. Und während die Natur ruhig weiter läuft, spüren die Menschen ein ungewohntes Gefühl.

Die Angst sitzt in jedem von uns.