
27.04.1986
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Am frühen Morgen des 26. April 1986 ereignete sich in Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl in der Nähe der Stadt Pripjat ein verheerender Reaktorunfall. Während eines Tests kam es zu einer unkontrollierten Leistungssteigerung im Reaktor. Wenige Sekunden später explodierte der Kern. Große Mengen radioaktiver Stoffe wurden freigesetzt und gelangten in die Atmosphäre. Internationale Fachstellen sprechen bereits von der schwersten nuklearen Katastrophe in der Geschichte der menschlichen Nutzung von Atomenergie.
Der Reaktor, ein RBMK-Typ sowjetischer Bauart, besitzt keine robuste Schutzhülle wie westliche Reaktoren. Während des Tests am gestrigen Tage wurden sicherheitsrelevante Systeme außer Betrieb gesetzt. Die Steuerstäbe waren in einer riskanten Konfiguration. Als der Versuch trotz Warnzeichen gestartet wurde, stieg die Leistung in Sekunden auf ein Vielfaches des Normalwerts an. Die Explosion schleuderte die tonnenschwere Reaktorabdeckung in die Luft. Der Reaktorkern wurde freigelegt. Graphit begann zu brennen. Eine der gefährlichsten Situationen überhaupt.
Noch am selben Tag wurden in weiten Teilen Europas erhöhte Strahlenwerte gemessen. Besonders betroffen sind Gebiete wie Skandinavien, Polen und Norddeutschland. Radioaktive Isotope wie Cäsium-137 und Iod-131 wurden bereits identifiziert. In der Bundesrepublik wurde der Strahlungsalarm ausgelöst. Der Wind trägt die radioaktive Wolke weiter nach Westen. Die Langzeitfolgen für Gesundheit und Umwelt sind noch nicht absehbar.
Vor Ort wurden erste Notmaßnahmen eingeleitet. Feuerwehrleute und Betriebspersonal versuchten die Brände zu löschen, ohne über geeignete Schutzkleidung oder Messgeräte zu verfügen. Mehrere Arbeiter starben noch in derselben Nacht an den Folgen der Strahlenexposition. Dutzende befinden sich in kritischem Zustand. Die Evakuierung der nahegelegenen Stadt Pripjat begann erst über 36 Stunden nach dem Unfall. Zu spät um eine großflächige Verstrahlung der Bevölkerung zu verhindern. Rund 50.000 Menschen mussten innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen. Ihnen wurde gesagt, sie würden bald zurückkehren. Doch Experten gehen davon aus, dass große Teile der Region dauerhaft unbewohnbar bleiben.
In den Krankenhäusern fehlen Medikamente gegen Strahlenkrankheit. Die medizinische Versorgung ist überfordert. Berichte aus sowjetischen Quellen sind widersprüchlich. Die Bevölkerung ist größtenteils ahnungslos über das Ausmaß der Katastrophe. Offizielle Stellen sprechen weiterhin von einem “technischen Zwischenfall”. Internationale Organisationen fordern Aufklärung und uneingeschränkten Zugang zu den betroffenen Gebieten.
Auch in der Bundesrepublik herrscht zunehmende Verunsicherung. Meteorologen beobachten die Bewegung der radioaktiven Wolke genau. Schulen diskutieren über Schließungen, Spielplätze werden gesperrt. In Apotheken häufen sich Anfragen auf Medikamente. Ärzte berichten von zunehmender Nervosität. Eine klare Informationslage fehlt. Die Angst besteht, dass die Strahlung auch hier Menschen gefährden könnte.
Die Katastrophe in Tschernobyl hat nicht nur eine Region, sondern ein gesamtes System erschüttert. Sie zeigt, wie fragil die Sicherheit atomarer Technologie ist, und wie trügerisch das Gefühl der Kontrolle.