0-174194 - Stadtansicht von Pripyat bei Tschernobyl. Juni 1982. Foto von Vladimir Repik. 0-174194 - Вид на поселок городского типа Припять Чернобыльского района Киевской области. Июнь 1982 года. Фото Владимира Репика.

BILD-Zeitung, 30. April 1986

Tschernobyl-Schock! Strahlung erreicht auch Deutschland – Behörden informieren spät

Am Samstagmorgen, dem 26. April, ereignete sich in der Sowjetunion ein schwerer Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl, rund 100 Kilometer nördlich von Kiew. Die Explosion in einem Reaktor wurde zunächst nicht öffentlich gemacht – erst zwei Tage später schlugen schwedische Messstationen Alarm, weil sie stark erhöhte Radioaktivität in der Luft feststellten.

Inzwischen ist klar: Auch in der Bundesrepublik sind Spuren der radioaktiven Wolke angekommen. Vor allem im Süden Deutschlands wurden erhöhte Werte von Jod-131 und Cäsium-137 gemessen – Stoffe, die in den Körper gelangen und langfristige Schäden verursachen können. Milch, Salat und Pilze gelten in vielen Regionen als belastet.

Die Bundesregierung gab am Dienstag erste Empfehlungen heraus, betonte jedoch, dass keine unmittelbare Gefahr für die Bevölkerung bestehe. Umweltverbände und unabhängige Wissenschaftler kritisieren die späte und ausweichende Informationspolitik. Viele Menschen fühlen sich allein gelassen.

Auf Spielplätzen bleiben Kinder fern, in Supermärkten greifen Kunden verstärkt zu abgepackten Lebensmitteln. Besonders besorgt zeigen sich junge Familien und Schwangere. Während aus dem Osten kaum verlässliche Informationen kommen, wächst im Westen das Misstrauen – nicht nur gegenüber der sowjetischen Technik, sondern auch gegenüber den eigenen Behörden.

Der Unfall von Tschernobyl markiert einen Wendepunkt. Er zeigt, wie verletzlich moderne Gesellschaften trotz aller Technik sind – und dass Gefahren, die man nicht sieht, umso schwerer zu fassen sind.