Bericht aus einem kleinen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern

Zimkendorf (Gemeinde Vorpommern-Rügen), Mecklenburg-Vorpommern. Alles geht seinen gewohnten Gang an diesem Nachmittag – oder vielmehr: es steht. Das Dorf liegt klein und idyllisch inmitten von Natur, unweit des Borgwallsees. Aufregung und Erschütterung werden bei den Bewohnern selten empfunden, vielmehr bestimmen Ruhe und die typisch norddeutsche Gleichgültigkeit das Bild. Klar, dass nicht alles so ist, wie man es gerne hätte. Mit manchen Dingen muss man sich einfach abfinden, sie passieren ja so oder so.

Und doch hat die Nachricht aus dem Osten die Menschen in irgendeiner Weise berührt. Und auch wenn man es – ganz nach der kühlen Art – nicht zugeben möchte, die Gedanken umkreisen wieder und wieder die Wolke, dieses unheilbringende Konstrukt aus zahllosen radioaktiven Partikeln.

„Geschehen ist geschehen“ sagen manche, und dass man schon in schlimmerem Schlamassel gesteckt habe.Eine wirkliche Bedrohung sehen die meisten nicht in der Wolke.

Viel eher sind es andere Dinge, um die ihre Gedanken kreisen: Die Frage nach der Schuld zum Beispiel. Jemand sagte heute zu mir: „Sehen Sie. Wir brauchen gar keinen Krieg. Wir sprengen uns mitten im Frieden in die Luft“ – und leider hatte dieser Mann in gewisser Weise Recht. Ist es nicht absurd, dass wir Maschinen erfinden, die tausende Leben durch einen „Unfall“auslöschen können? Ist es das Wert, dieses Risiko einzugehen? Es sei doch wirklich, als ob manche Menschen einen Wurm im Kopf hätten, habe ich in diesem Zusammenhang gehört.

Verwirrt sind die Menschen in Zimkendorf auch durch die Medien – ist es nun eine Totalkatastrophe oder doch nur halb so wild? Bei all diesen konträren und teils alarmierenden Meinungen entscheiden sich die meisten für die „halb so wild“-Variante. Sie zweifeln an den Vorhersagen der aufgeregten Experten, dem „Krakeelen im Radio“ – ob da nicht auch immer viel übertrieben werde?

Es ist jedoch anzunehmen, dass viele kaum Zeit damit verbringen, sich mit der Thematik näher zu beschäftigen. Ganz nach dem Motto „was ich nicht weiß macht mich nicht heiß“ könnte die Distanz zur Gefahr aus Unwissenheit auch leicht viel zu groß eingeschätzt werden – schließlich wissen die wenigsten, wie man „Radioaktivität“, „Graphitbrand“ oder „Geigerzähler“ genauer definiert. Das spiegelt sich auch im Konsumverhalten der Zimkendorfer wieder: Die Verkäuferin im Dorfladen berichtete mir, die vorbestellte Milch sei wie immer von den Kunden abgeholt worden. Die Rechtfertigung dazu: „Schließlich kann man nicht zu essen und zu trinken aufhören.“

Und während alle ihre eigenen Lasten weitertragen und niemand das kollektive Päckchen an Radioaktivität übernehmen möchte, geht alles seinen gewohnten Lauf in Zimkendorf. Natürlich denkt man hin und wieder an die Wolke, doch werden solche Gedanken schnell zur Seite geschoben. Schlussendlich wird die Zeit es zeigen, was wird – bleibt nur zu hoffen, dass man nicht doch zu unvorsichtig war.