Ein Artikel von Janina Doerr und Lauren Fahrnschon, 28. April 1986, Berlin.
Die Welt befindet sich in tiefen Unruhen. Die atomare Katastrophe, die vor zwei Tagen 130 Kilometer nördlich von Kiew erfolgte, versetzte nicht nur die Bewohner vor Ort, sondern auch weite Teile Europas in Panik.
In den frühen Morgenstunden des 26. Aprils 1986 explodierte während der normalen Inbetriebnahme einer der vier Reaktoren im Kernkraftwerk Tschernobyl. Sofort kam es zu einer massiven Freisetzung von radioaktivem Material, das sich schnell in der Atmosphäre ausbreitete. Die gesamte Tragweite sowie Folgen des Unglücks sind noch unklar. Sicher ist jedoch, dass es extreme Auswirkungen auf Umwelt, Menschen, Tiere und vor allem deren Gesundheit haben wird.
Die Menschen vor Ort wurden bereits wenige Stunden nach der Explosion evakuiert. Doch durch den vorherrschenden starken Wind wurde die radioaktive Wolke bis nach Weißrussland, Polen und sogar Schweden getragen.
Messungen in der 1000 Kilometer entfernten Stadt Stockholm wiesen erhöhte Strahlungswerte auf, weshalb die Auswirkungen jetzt schon als extrem hoch eingestuft werden.
Genaue Zahlen zu Opfern oder der Menge des freigesetzten radioaktiven Materials gibt es noch nicht. Experten gehen jedoch davon aus, dass tausende Menschen schon jetzt erhebliche gesundheitliche Schäden erlitten haben. Besonders besorgniserregend ist hier der Anteil der betroffenen Kinder, da diese noch empfindlicher auf Strahlung reagieren als Erwachsene.
Forscher und Experten warnen vor der Kontaminierung von Gewässern, Böden, Lebensmitteln wie Obst und Gemüse und sogar tierischer Lebensmittel. Außerdem wird stark davon abgeraten, frische Lebensmittel zu sich zu nehmen, zu duschen oder Kinder im Sand spielen zu lassen.
Politisch gesehen ist Tschernobyl das beste Beispiel für den aktuell zunehmend gehemmten Informationsaustausch zwischen den Regierungen der Welt. Informationen und Details zum Unglück werden nur Stück für Stück an die Öffentlichkeit gegeben. Obwohl die Folgen, laut aktuellen Prognosen, weite Teile Europas betreffen werden. Diese unzureichende Kommunikation bzw. Bemühung zur Vertuschung, wirft ein extrem schlechtes Licht auf die sowjetische Regierung. Es könnte die Haltung der Weltgemeinschaft gegenüber der Atomenergie stark verändern. (Angaben des Politikwissenschaftlers Johann Frankler, Berlin)
Genaue Folgen diesbezüglich sind noch nicht absehbar, doch der Vorfall könnte ein neues Kapitel in der Geschichte der Kernenergie aufschlagen. Ein Kapitel geprägt von Ängsten, Zweifeln und Misstrauen gegenüber der Atomkraft.
Die Auswirkungen auf die Gesundheit und Umwelt werden sich in den kommenden Jahren zeigen.
