Redaktion: Herr Ignatenko, Sie gehörten zu den ersten Einsatzkräften vor Ort. Wie wurden Sie alarmiert?

Vasilij Ignatenko: Gegen halb zwei Uhr morgens schrillte der Alarm im Feuerwehrhaus in Prypjat. Man sagte uns, das Dach vom Reaktor sei in Brand geraten. Wir dachten an einen gewöhnlichen Industriebrand. Ich schnappte meinen Helm, zog meine Jacke an und rannte zum Wagen.

Redaktion: Wie war die Lage, als Sie ankamen?

Ignatenko: Das Bild war surreal. Feuer schlug aus dem Reaktorgebäude, es glühte regelrecht. Überall lagen Trümmer. Wir sahen einen Mann, der meinte, der Reaktorkern sei offen. Wir lachten zuerst – sowas kann doch nicht sein, dachten wir. Dann begannen wir zu löschen, so wie immer.

Redaktion: Gab es Schutzmaßnahmen?

Ignatenko: Nicht wirklich. Niemand sprach von Strahlung. Wir hatten normale Einsatzkleidung – nichts gegen Radioaktivität. Wir kletterten auf das Dach, warfen brennende Graphitstücke runter, ohne zu wissen, was wir da in der Hand hatten.

Redaktion: Wann bemerkten Sie, dass etwas nicht stimmt?

Ignatenko: Nach einer halben Stunde wurde mir schlecht. Mein Kopf dröhnte, ich musste mich übergeben. Meine Haut brannte. Auch die anderen klagten – einer hatte plötzlich Blasen im Gesicht. Wir wurden dann ins Krankenhaus gebracht. Da sagte man zum ersten Mal das Wort „Strahlung“.

Redaktion: Wie war es im Krankenhaus?

Ignatenko: Zuerst dachten wir, es sei nur vorübergehend. Aber mein Zustand verschlechterte sich schnell. Haut löste sich ab, innere Organe versagten. Meine Frau kam zu mir – sie wollte bleiben, obwohl man es ihr verbieten wollte. Sie trug keine Schutzkleidung. Ich hatte Angst um sie, mehr als um mich.

Redaktion: Hatten Sie das Gefühl, man sagte Ihnen die Wahrheit?

Ignatenko: Nein. Niemand sagte uns, was wirklich passiert war. Wären wir gewarnt worden, hätten wir uns anders vorbereitet. Aber wir wurden ins Feuer geschickt, blind. Ich mache niemandem einen Vorwurf – wir taten nur unsere Pflicht. Aber es hätte verhindert werden können.

Redaktion: Was möchten Sie der Welt hinterlassen?

Ignatenko: Ich bin Feuerwehrmann. Es war mein Job, Leben zu retten. Ich hätte es wieder getan. Aber ich hoffe, dass meine Geschichte andere davor warnt, leichtsinnig mit so einer Kraft umzugehen. Strahlung ist kein Feuer, das man einfach löscht. Es ist unsichtbar – und gnadenlos.

Redaktion: Danke, Herr Ignatenko. Ihre Worte bleiben.

Anmerkung: Vasilij Ignatenko war 25 Jahre alt und einer der ersten Feuerwehrmänner, die am Unglücksort das Feuer löschten. Das Interview ist erfunden und basiert aus Fragmenten der Serie „Chernobyl“.