Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet der Westwall, das größte Bauwerk der Nationalsozialisten in Deutschland, zunächst weitgehend in Vergessenheit. Viele Bunker und Sperranlagen wurden nach 1945 von den Alliierten gesprengt, übererdet oder einfach der Natur überlassen. Die Zerstörung geschah aus militärischen und politischen Gründen: Der Westwall war ein Symbol für die NS-Diktatur und ihren Angriffskrieg. Trotzdem blieben viele Überreste erhalten, zum Teil, weil sie schwer erreichbar waren, zum Teil wegen fehlender Mittel für den Abriss. Erst in den 1990er Jahren begannen Denkmalpfleger und Historiker, dem Westwall mehr Aufmerksamkeit zu schenken – als wichtiges Zeugnis der NS-Zeit. Ein Beispiel dafür ist Rheinland-Pfalz, das 2014 viele Flächen des Westwalls vom Bund übernahm und unter Schutz stellte.
Heute haben die Überreste des Westwalls ganz verschiedene Bedeutungen. Manche Bunker wurden zu Museen oder Gedenkstätten umgebaut, andere sind Teil von Wanderwegen oder Bildungspfaden geworden. Viele Bereiche sind aber auch unzugänglich und werden langsam von der Natur zurückerobert. Diese Entwicklung steht nicht nur für das Vergessen, sondern ist mittlerweile auch Teil eines bewussten Umgangs: Denn viele der alten Anlagen bieten heute bedrohten Tieren und Pflanzen einen wertvollen Lebensraum. Projekte wie der „Grüne Wall im Westen“ versuchen, Denkmalpflege, Umweltschutz und politische Bildung miteinander zu verbinden. Die Ruinen sollen einerseits an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern und andererseits als Rückzugsorte für die Natur erhalten bleiben.
Die Geschichte des Westwalls ist dabei ziemlich vielschichtig. Zwar wurde er von der NS-Propaganda als reine Verteidigungsanlage dargestellt, in Wirklichkeit war er aber vor allem ein ideologisches Projekt. Die Nazis wollten mit dem Westwall zeigen, wie stark und geeint das „deutsche Volk“ sei – und was es technisch zu leisten imstande ist. Gleichzeitig war der Bauort des Walls ein Ort schwerer Menschenrechtsverletzungen: Hunderttausende Zwangsarbeiter, viele aus Konzentrationslagern wie dem KZ Hinzert, mussten unter extremen Bedingungen schuften. Hinzert war dabei nicht nur ein Ort der „Arbeitserziehung“, sondern auch ein Zwischenlager für politische Gefangene aus Frankreich, Luxemburg und anderen besetzten Ländern.
Auch der Naturschutz spielte bei der Errichtung des Westwalls schon eine Rolle – allerdings aus heutiger Sicht ziemlich problematisch. NS-Ideologen wollten die Anlage „naturnah“ in die Landschaft einbinden. Das hatte zum einen praktische Gründe – etwa Tarnung vor Feinden –, zum anderen war es Teil der Nazi-Ideologie von einer „deutschen Naturästhetik“. Einzelne Wissenschaftler wie Reinhold Tüxen entwickelten dabei Methoden, die später sogar in Auschwitz zum Einsatz kamen. Diese Verknüpfung von Natur, Ideologie und Verbrechen wird inzwischen auch von heutigen Fachleuten kritisch aufgearbeitet.
Wenn man heute über den Westwall spricht, prallen viele Interessen aufeinander: Historiker, Umweltschützer, Denkmalpfleger, politische Bildner, aber auch Anwohner und Besucher haben oft ganz unterschiedliche Sichtweisen. Projekte wie „Neues Denken am Westwall“ versuchen, besonders junge Menschen mit der Geschichte und Bedeutung des Walls vertraut zu machen. Auch der Umweltverband BUND ist aktiv – um sowohl das Naturerbe als auch die Erinnerung zu schützen. Doch es gibt auch Probleme: Rechte Gruppen versuchen immer wieder, den Westwall für ihre Zwecke zu missbrauchen. Deshalb setzen sich die beteiligten Organisationen dafür ein, diese Versuche zu stoppen und die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachzuhalten.
Am Ende ist der Westwall mehr als nur eine alte Militäranlage. Er ist ein Ort, an dem wir uns fragen müssen, wie wir heute mit schwieriger Geschichte umgehen, wie wir Erinnerung gestalten und wie wir Geschichte, Natur und Verantwortung zusammen denken können.