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Interview mit Dr. Eva L., Ärztin am Bezirkskrankenhaus – über den Klinikalltag während der Reaktorkrise

Berlin, 30. April 1986 – Während Europa über mögliche Strahlengefahren diskutiert, geht in den Krankenhäusern der DDR der Alltag weiter. Doch wie fühlt es sich an, unter dem Druck einer möglichen atomaren Katastrophe zu operieren – und gleichzeitig um die eigene Familie zu sorgen? Wir sprachen mit Dr. Eva L., Ärztin an einem ostdeutschen Bezirkskrankenhaus.

„Arbeiten unter Ungewissenheit: In den Kliniken fehlten Informationen – nicht Verantwortung.“

Frage: Frau Dr L., wo waren Sie, als Sie von dem Reaktorunglück erfahren haben?

Antwort: Ich war den ganzen Samstag im Krankenhaus im Einsatz. Erst gegen Abend, zu Hause beim Kochen, hörte ich die Nachricht im Radio. Es war nur eine kurze Meldung – ein Hinweis auf einen Störfall in einem sowjetischen Atomkraftwerk. Ich wusste sofort, dass da etwas nicht stimmte.

Frage: Wie wurde die Nachricht im Krankenhaus aufgenommen?

Antwort: Zunächst gar nicht. Wir haben erst am Sonntag vorsichtig unter Kollegen darüber geredet. Es war Unruhe spürbar, aber niemand wusste etwas Genaues. Gleichzeitig lief der Klinikbetrieb weiter – Notaufnahmen, OPs. Wir funktionierten wie immer, obwohl jeder spürte: Es ist etwas Schreckliches passiert.

Frage: Macht man sich Sorgen – um sich selbst, die Patienten, die Familie?

Antwort: Natürlich! Ich bin Ärztin, aber auch Mutter. Ich dachte an meine Kinder, aber auch an die ganzen anderen Menschen. Aber diese Sorgen durfte ich mir nicht anmerken lassen. Unsere Patienten verlassen sich auf uns. Da bleibt kein Platz für Panik.

Frage: Gab es offizielle Anweisungen oder Schutzmaßnahmen?

Antwort: Bis jetzt nicht. Wir wurden nicht gewarnt, nicht angewiesen, uns anders zu verhalten. Keine Empfehlungen zu Jod, keine Schutzkleidung, keine Aufklärung.

Frage: Was wünschen Sie sich für die nächsten Tage?

Antwort: Ehrliche Informationen. Ich will wissen, wie gefährlich es ist – für meine Familie, für unsere Stadt, für unsere Patienten. Und ich wünsche mir, dass wir lernen, solche Ereignisse ernst zu nehmen, bevor sie uns überwältigen. Als Ärztin kann ich mit einer Diagnose umgehen – nicht mit Schweigen.