Deutliche Worte fand die Physikerin und Strahlenschutzexpertin Prof. Inge Schmitz-Feuerhake im Gespräch mit unserer Redaktion: Die Informationspolitik der Bundesregierung nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl sei, so die Professorin, ,,nicht nur unzureichend, sondern gefährlich gewesen‘‘. Viel zu spät und mit auffälliger Zurückhaltung sei über die Gefahren der radioaktiven Wolke informiert worden. ,,Statt die Bevölkerung ehrlich aufzuklären, hat man beschwichtigt und heruntergespielt‘‘, so Schmitz-Feuerhake. Dabei sei längst klar gewesen, dass Jod und Cäsium in erhöhten Konzentrationen in der Luft messbar seien, und sich auch im Regenwasser, im Gras und letztlich in der Milch wiederfänden. ,,Jeder tag, an dem nicht gewarnt wurde, war ein Tag, an dem Kinder draußen spielten und Mütter Frischmilch kauften‘‘.Besonders scharf kritisierte die Professorin die politisch motivierte Zurückhaltung bei Schutzmaßnahmen:,,Es hätte sofort Empfehlungen geben müssen, zu Jodtabletten, zu Verzicht auf Frischprodukte, zu Einschränkungen im Freien‘‘. Stattdessen sei tagelang um Formulierungen gerungen worden, ,,weil man Angst hatte, Panik zu erzeugen‘‘. Die Bundesregierung habe, so Schmitz-Feuerhake, ,,den Schutz des Images über den Schutz der Menschen gestellt‘‘. Das sei unverantwortlich, insbesondere angesichts der langfristigen Risiken. ,,Wir sprechen hier nicht von einem Sturm, nach dem man aufräumt, wir sprechen von Strahlenschäden, die erst in Jahren oder Jahrzehnten sichtbar werden: Leukämien, Schilddrüsenerkrankungen, genetische Veränderungen‘‘. Das ausgerechnet in einem Land wie der Bundesrepublik, das über ausgezeichnete Messstellen verfüge, so lückenhaft informiert werde, sei ein politisches Versagen. ,,Man kann nicht mit großen Aufwand Kernkraftwerke betreiben und sich dann beim Ernstfall hinter Floskeln verstecken‘‘. Die gebürtige Rheinländerin ist seit Jahren auch in der Anti-Atomkraft-Bewegung aktiv. Den Vorwurf, die Bewegung sei emotional oder einseitig, weist sie entschieden zurück. ,,Ich bin Wissenschaftlerin. Aber Wissenschaft hat auch eine ethische Verantwortung. Wer die Gefahren kennt und dennoch schweigt, macht sich mitschuldig.‘‘ Die Proteste gegen Atomkraft, so Schmitz-Feuerhake, seien keineswegs radikal, sondern der einzige Weg, um auf Missstände hinzuweisen. Viele Menschen seien verunsichert, zu Recht, sagt sie. ,,Aber die Antwort darf nicht Resignation sein, sondern Engagement.‘‘Es gäbe keine ungefährliche Dosis radioaktiver Strahlung, betont sie. ,,Die Natur kennt kein Nullrisiko, aber sie kennt Vorsicht. Genau das fehlt in der Atompolitik.‘‘